The short story of Sam

Der Wasserspiegel im Becken steigt schnell in die Höhe. Zuerst etwas wärmeres, dann den Rest kaltes Wasser. Mit einem kurzen Quietschen kommt der Hahn zum erliegen. Sam taucht beide Hände in das kühle Nass. Langsam führt er sie, zu einer Schale geformt, zu seinem Gesicht. Wasser rinnt ihm den Arm herab und benetzt seinen grauen Strickpulli. Er wiederholt das Prozedere mehrere Male. Sich selbst mit leerem Blick im Spiegel beobachtend finden die Tropfen ihren Weg, entlang an seinen Falten rund um die Augenpartie, hinab an seinen eingefallenen Wangenknochen um schließlich mit einem leisen Geräusch auf den Fliesen zu enden. „Sam, bist du das?“ Er erkennt sich nach all den Jahren nicht mehr. Dabei gibt es eigentlich keinen Grund daran zu zweifeln. Es ist doch ein gutes Leben! Zumindest haben ihm das alle gesagt. Ein Job, eine Ehefrau, Kinder. Was braucht ein Mann mehr? Doch nie hat ihn jemand gefragt. „Sam,“ haben seine Eltern immer gesagt, „das Abenteuer wird seinen Weg schon zu dir finden, doch Sicherheit geht immer vor!“ Sam vergräbt sein Gesicht im Handtuch. Der Geruch des Waschmittels bringt Erinnerungen hervor. Der kleine Sam sieht zum ersten Mal einen Atlas. Mit Staunen blättert er umher und auch ohne dass er Lesen kann, wird ihm bewusst, dass es so viel mehr gibt als den Garten vor der Tür. Fasziniert berichtet er seinem Vater von seiner Entdeckung. „Nun mein Junge, die Welt ist groß, aber es gibt nichts mehr zu entdecken.“ Er lacht, als sein Sohn anfängt vom Reisen zu erzählen. Der Blick aus dem Fenster bringt ihn in die Realität zurück. Es ist grau und dichter Nebel hängt über den Straßen der Stadt. Die Neonröhren von dem großen Schild auf der anderen Straßenseite leuchten schwach. In geschwungenen Buchstaben prangert ein Wort auf ihm: Reisebüro. Nur ein Wort. Doch ein Wort mit unglaublicher Macht für Sam. Als das Geschäft vor zwei Jahren eröffnete spürte er ein Spicken im Herzen. Zuerst wusste er nicht was es bedeutete, doch schnell wurde ihm klar, dass der Laden nicht nur ein Laden war. Es war die Erinnerung an seine Träume. Etwas, dass er seit 40 Jahren nicht mehr gespürt hatte. Zu sehr war er damit beschäftigt sein Leben zu leben. „Nein, ein Leben“, denkt sich Sam. Der Wasserkessel pfeift und er wendet den Blick ab. Lieblos tunkt er den Teebeutel in das heiße Wasser. „Was? Reisen? Hör auf Sam, du bist viel zu alt dafür. Überleg dir, was Tess dazu sagen würde, wenn sie könnte.“ Seine Frau war genauso sesshaft wie seine Eltern. Früh schlug er den Weg eines Autoschlossers ein. „Welch Ironie.“, denkt er. „All die Jahre ermöglichte ich es anderen Leuten sich von A nach B zu bewegen. Zu reisen.“ Die Zeitung ist voller Neuigkeiten von überall. Hier ist etwas passiert und dort gibt es einen Konflikt. Immerhin war dies eine Möglichkeit für ihn woanders zu sein, zumindest für den Moment. Dies hat seine Flamme zwar nicht genährt, doch zumindest nicht vollständig erloschen lassen. Über die Jahre hinweg brachte die Geschwindigkeit seines Lebens das Feuer jedoch zum erliegen. Nun, wo nichts mehr übrig blieb, wo niemand mehr über ihn urteilt außer er selbst, beginnt die kalte Asche wieder zu glimmen, entfacht durch ein einfaches Schild von nebenan. „Sicherheit geht vor…“ brummt er und legt die Zeitung beiseite. All die Jahre…er hatte ein gutes Leben. Doch etwas sagt ihm, tief verborgen ihn ihm, dass es nicht das Richtige war. Nicht er selbst. Nicht seine Bestimmung. Und auch jetzt frohlockt ihn der Gedanke alles hinter sich zu lassen. Die Welt zu sehen. Hinaus, raus aus der grauen Existenz die er solange für sein Leben betrachtete. Wärme durchströmt Sam bei diesen Gedanken. Er blickt auf und in den Spiegel. Der alte Mann schaut zurück. „Sam, bist du das?“, flüstert er. Ohne genau zu wissen was mit ihm geschieht steht er auf. Er stößt dabei gegen den Tisch und kippt den Becher um. Tee tropft auf den Teppich, doch er hat keine Augen dafür. Wie in Trance ergreift er Schuhe, Mantel und den Regenschirm. Sam lacht und legt den Schirm beiseite. „Der Weg ist nicht weit.“ Ein letztes Mal blickt er sich um. Sein zu Hause. Alles vertraut und doch fremd. Tief atmet er ein und wieder aus. Erneut schaut er in den Spiegel und beantwortet sein Frage: „Ja, ich bin es.“ Die Tür fällt ins Schloss. Es ist kalt, doch die frische Luft hilft ihm dabei seinen Geist zu wecken. Das Schild ist in greifbarer Nähe. So oft ging er an ihm vorbei, doch nun wird es anders sein. Alles wird anders sein. Schritt für Schritt geht er seinem neuen Abschnitt entgegen. „Sicherheit geht immer vor. Wie kann das Abenteuer dann zu mir kommen?“, denkt sich Sam. Er fühlt sich gut und betritt die Straße.

„Beeil dich Judith, wir kommen sonst zu spät!“. Die beiden laufen zum Auto, steigen ein und fahren los. Das Gebläse läuft auf Hochtouren. Mit Müh und Not kann Elena die Straße erkennen. „Wann fliegt unser Flugzeug, Mama?“ „In 40 Minuten mein Schatz. Ich schreibe deinem Papa nur schnell eine Nachricht, dass wir gleich da sind!“ Es ist 9:25 Uhr und das Auto biegt in die Reuter Straße an. Judith sieht ein Schild glimmen. Sie versucht es zu lesen da ertönt ein Aufschrei von ihrer Mutter. Ein Ruck geht durchs Auto, dann ein lautes Geräusch, ein Schatten huscht über die Windschutzscheibe. Judith schreit. Das Gefährt kommt zum stehen.

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